Zwei Drittel aller Amphibienarten gelten bei uns als gefährdet. Und trotz der vielfältigen Bemühungen von Naturschützern gehen die Populationen weiter zurück. Woran liegt das? Umweltwissenschaftler von der Universität Koblenz-Landau haben einen Verdacht: den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft: Das Team um den Biologen Carsten Brühl hat sieben der gängigsten Spritzmittel an jungen Grasfröschen im Labor getestet, darunter vier Mittel gegen Pilzbefall, ein Insektizid und zwei Unkrautvernichtungsmittel. Die Substanzen wurden auf das anwendungsübliche Maß verdünnt und die Tiere damit besprüht – mit fatalen Folgen: Bei sechs von sieben Pestiziden starben 40 bis 100 Prozent der Frösche binnen einer Woche. Da die Spritzmittel extrem unterschiedliche Wirkstoffe enthalten, glauben die Forscher, dass sogenannte Beistoffe für die hohe Sterberaten verantwortlich sind. Diese Stoffe sorgen dafür, dass die Pestizide besser an den Pflanzen haften bleiben und sie besser durchdringen. Für Amphibien ist genau das gefährlich, denn ihre Haut ist extrem durchlässig, ja sie atmen sogar durch die Haut.
Das Forscherteam würde gerne die Beistoffe näher analysieren. Doch das ist nicht möglich. Sie müssen von den Herstellern der Spritzmittel nicht angegeben werden, denn sie unterliegen dem Patentschutz und somit der Geheimhaltung. Die Hersteller weisen auch die Forschungsergebnisse zurück, mit dem Argument, Laborversuche ließen sich nicht auf die Bedingungen im Freiland übertragen.
Carsten Brühl hat daher in diesem Frühjahr drei ausgewachsene Erdkröten in einem Weinberg eingefangen und mit Sendern versehen. So konnte er bereits nachweisen, dass sich die Amphibien durchaus zu den Zeiten im Weinberg aufhalten, in denen gespritzt wird. Was wenig bekannt ist: Viele Amphibien verbringen einen Großteil ihres Lebens auf landwirtschaftlichen Flächen. Und auf den meisten Flächen wird gespritzt. Auf Getreidefeldern im Durchschnitt vier Mal pro Jahr, im Weinberg 17 Mal. Spitzenreiter aber sind die Obstplantagen mit bis zu 30 Anwendungen pro Jahr.
Können die am Boden lebenden Amphibien diesem Giftregen überhaupt noch entkommen? Diese Frage stellt sich auch Carsten Brühls Teamkollegin Kathrin Theißinger. Sie ist Molekularbiologin und hat die Gene von Grasfröschen aus einem Weinberg analysiert. Das Ergebnis: Im Vergleich zu Fröschen, die in einem Naturpark leben, ist das Erbgut der Weinberg-Grasfrösche extrem verarmt. Offenbar können sich die Tiere nicht mehr mit ihren Artgenossen aus den benachbarten Teichen paaren, weil sie den Weg dorthin nicht überleben.
Die Hinweise, dass Spritzmittel Amphibien gefährden, verdichten sich also. Deshalb pocht auch das Bundesumweltamt unter Berufung auf die Studienergebnisse auf eine Nachbesserung der Richtlinien für die Zulassung von Spritzmitteln. Ohnehin ist es ein Skandal, dass sie bislang bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht berücksichtigt wurden. Somit ist es auch kein Wunder mehr, dass ihre Bestände massiv schrumpfen.
Kontakt:
Universität Koblenz-Landau
Dr. Carsten Brühl
Fortstraße 7, 76829 Landau
Tel. (06341) 28 03 10
E-Mail: bruehl@uni-landau.de
Quelle: ARD, 03.09.16
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/artenster…
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