So dramatisch steht es um unsere Vögel an Rhein und Ruhr

Anfang dieser Woche hat Holger Sticht eine kleine Exkursion in die Wahner Heide unternommen. Dort ist Sticht häufiger unterwegs, denn der 45-Jährige ist Landesvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Land und Hobby-Ornithologe. Einen alten Bekannten aber, den er in der Vergangenheit in dem zweitgrößten und artenreichsten Naturschutzgebiet Nordrhein-Westfalens, das nahe Köln gelegen ist, hat er diesmal weder gehört noch gesehen: den Waldlaubsänger (Phylloscopus sibilatrix). Auf der Roten Liste der geschützten Arten in NRW hatte der Brutvogel 1999 noch ein „V“, stand somit auf der Vorwarnliste. 2010 hatte er die Kategorie „R“ (geographische Restriktion) übersprungen auf Kategorie 3 (gefährdet). Nach den Kategorien 2 (stark gefährdet) und 1 (vom Aussterben bedroht) gibt es dann nur noch die Kategorie 0: Bestand erloschen.

Der Bestand des Singvogels mit dem typischen schwirrenden Gesang ist nicht der einzige Vogel, der dem BUND Sorgen bereitet. „Viele ehemalige Bestände sind im Land erschreckend zusammengebrochen: Der Star (Sturnus vulgaris), der Kuckuck (Cuculus canorus) – viele Zugvögel werden immer weniger. Und das gilt nicht nur für NRW.

Die Zahl der Vögel in ganz Deutschland und Europa geht dramatisch zurück. Vor allem Vögel, die in Agrarlandschaften leben, sind bedroht. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen, die der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag vorlag, hat die Bundesregierung die Zahlen zusammengetragen: Insgesamt ist demnach in der EU die Zahl der Brutpaare in den landwirtschaftlichen Gebieten zwischen 1980 und 2010 um 300 Millionen zurückgegangen, ein Minus von 57 Prozent.

In Deutschland hat der Bestand der Kiebitze (Vanellus vanellus) zwischen 1990 und 2013 um 80 Prozent abgenommen, die Zahl der Braunkehlchen (Saxicola rubetra) um 63 Prozent, die der Uferschnepfen (Limosa limosa) um 61 Prozent und die der Feldlerchen (Alauda arvensis) um 35 Prozent. Die Zahl der Rebhühner (Perdix perdix) hat zwischen 1990 und 2015 sogar um 84 Prozent abgenommen. Ein Drittel aller Vogelarten zeigte seit Ende der 90er-Jahre „signifikante Bestandsabnahmen“.

Gründe dafür gibt es viele. Holger Sticht vom BUND nennt den Flächenverbrauch, also die Umwandlung von landwirtschaftlichen oder naturbelassenen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen. Auch benennt er die „Entwertung der Landschaft“ und die Tatsache, dass Nordrhein-Westfahlen seine Schutzgebiete nicht so pflege, dass sie optimal für Lebewesen und Arten seien. Außerdem fügt er hinzu: „Die Vögel verhungern schlicht“.

Für den extremen Bestandsrückgang sei zudem der Einsatz von Stickstoffen und Pestiziden in der Landwirtschaft verantwortlich, weil so die Vögel immer weniger Nahrung fänden: Insekten. Sticht nennt das eine „unsichtbare Bugwelle“: Erst sterben die Insekten, dann die Vögel.

Seit 30 Jahren beobachte der BUND die Tendenz, die jetzt die Regierung in Berlin so in Worte fasst: „Das Fehlen geeigneter Lebensräume und das Insektensterben gehören zu den wichtigen Gründen. Bei manchen Insektenarten ist der Bestand demnach um bis zu 90 Prozent zurückgegangen. Unkraut- und Insektengifte stellten dabei Studien zufolge einen „relevanten Einflussfaktor“ dar.

Für Verbraucher, die Vögel unterstützen wollen, hat Sticht einige Tipps. Zum Beispiel helfe es, nur Produkte aus ökologischer Landwirtschaft zu kaufen, wenig Fleisch, und wenn, dann ausschließlich bio zu essen. Wer einen eigenen Garten habe, solle bloß keine Pestizide und Dünger verwenden.

Kann man Vögel auch retten, indem man sie füttert? „Das bringt uns die Tiere sicher näher,“ so Sticht. „Vögel brauchen aber Fleisch. Dann müsste man sinnigerweise schon Mehlwürmer verfüttern.“ Viel sinnvoller sei aber zum Beispiel, eine Wiese nur zwei oder dreimal im Jahr mähen.

Außerdem gibt er zu bedenken, dass in diesem Jahr noch zweimal gewählt wird. Natürlich wünscht er sich, dass die Ökologie in den Wahlprogrammen der Parteien eine größere Rolle spielen würde. Das passiere aber auch nur, wenn das Wahlverhalten der Menschen der Politik zeige, dass ihnen das Thema wichtig ist.

Quelle: NRZ, 04.05.17
https://www.nrz.de/region/so-dramatisch-steht-es-um-unsere-voegel-an-rh…