Vom Himmel fallen sie selten", sagt Peter Berthold. "Aber ein befreundeter Ornithologe hat einmal bei einer Vogelführung erlebt, wie ihm eine Singdrossel vor die Füße gefallen ist, mausetot war die." Die Drossel, das habe sich bei der anschließenden Untersuchung herausgestellt, hatte enorm hohe Pestizidwerte im Blut. Sie starb an einer Vergiftung, während des Singens. Es sind plakative Geschichten wie diese, die Peter Berthold nutzt, um Menschen auf ein Problem aufmerksam zu machen, das sich derzeit in Europa und Nordamerika, ja, praktisch auf der gesamten Welt manifestiert: das Vogelsterben. Die Populationen bestimmter Feldvögel sind in Europa zusammengeschrumpft, in Nordamerika verschwinden die Graslandvögel. In den Tropen, in Costa Rica und der Karibik sinken die Zahlen, auch in Skandinavien, in Australien, China, Patagonien, der Mittelmeerregion und in vielen anderen Regionen dieser Erde nehmen die Bestände ab. Von den mehr als 10.000 Vogelarten, so die Weltnaturschutzunion IUCN, sind rund 13 Prozent vom Aussterben bedroht, 190 Arten werden in der Roten Liste der bedrohten Arten sogar in der Kategorie der höchsten Gefährdungsstufe geführt.
Vor allem diejenigen Arten, die früher sehr viele Individuen zählten, scheinen massiv unter Druck zu stehen, so die Erkenntnis der Vogelforscher. Die Ursachen kennen Ökologen und Ornithologen in vielen Fällen genau. Es muss etwas geschehen, denn das Vogelsterben ist auch für Menschen ein Problem. In einigen Regionen hat man bereits Lösungsansätze gefunden.
Peter Berthold, Rauschebart, hohe Stirn, weiße Haare und ein breites Lächeln, ist einer der führenden Ornithologen in Deutschland. Seit über sechzig Jahren erforscht er Vögel, 15 Jahre lang hat er die Vogelwarte des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell geleitet. Gäbe es die Chance auf Reinkarnation, sagt er, so wäre er im nächsten Leben am liebsten ein Mauersegler. "Dann könnte ich jahrelang über den Planeten segeln, in der Luft schlafen, in der Luft fressen – ohne auch nur einen Zwischenstopp auf dieser ekligen Erde einzulegen." Die Erde, sagt der Ornithologe, sei einfach kein guter Platz mehr für Vögel.
Henrique M. Pereira kann das bestätigen. Er hat mit einem Team internationaler Biodiversitätsforscher vor wenigen Wochen Ergebnisse einer Langzeitanalyse für die Bestände der Vögel Nordamerikas im Journal "Global Chance Biology" veröffentlich. Die Forscher haben den Brutvogelbericht von Nordamerika für die Jahre 1971 bis 2010 und andere Quellen ausgewertet. 519 Vogelarten wurden genau analysiert. Es zeigte sich zweierlei: Zum einen, und das scheint zunächst positiv, bleibt die Zahl der Arten in vielen Regionen konstant. Zum anderen aber sinkt die Zahl der Individuen.
Eine Erklärungdafür ist, dass immer mehr Brachen landwirtschaftlich genutzt werden, in den USA wie in Europa. "Die zunehmende Mechanisierung, die Etablierung großer Monokulturen, die Zerstörung von Hecken und der Einsatz von Pestiziden sind schlecht für die Feldvögel", sagt Pereira, der Professor am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung und an der Universität Halle-Wittenberg ist. "Viele Feldvögel finden entweder keine Nistplätze mehr, oder ihre Nester werden zerstört." Vor allem Arten, die im Grasland und auf Feldern brüten, die offene Landschaften bevorzugen, hätten es schwer. Feldlerchen, Kiebitze und Rebhühner schaffen es kaum, ihre Brut großzuziehen. Landmaschinen zerstören die Nester, Küken, die von den Vogeleltern mit viel Mühe gefüttert werden, kommen ums Leben.
"Die Zerstörung der Lebensräume ist ein wichtiger Grund dafür, dass es weniger Vögel gibt", stimmt Peter Berthold zu. Aber es sei nicht die einzige Ursache für das Schrumpfen der Bestände: "Wenn Sie früher, in den 1970er-Jahren, mit dem Auto über Land gefahren sind, dann konnten Sie nach kurzer Zeit kaum noch etwas sehen, so verdreckt war ihre Frontscheibe. Ständig musste man putzen, Massen von Insekten klebten auf dem Glas." In den vergangenen 15 Jahren hat die Zahl der Insekten dramatisch abgenommen, wie eine Studie aus Nordrhein-Westfalen belegt: Über 25 Jahre hinweg wurden an 87 Standorten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch bei Krefeld von Mai bis Oktober Zeltfallen aufgestellt, mit denen die Forscher Fluginsekten sammelten. 1989 gingen den Wissenschaftlern im Schnitt 1,6 Kilogramm Insekten in jede Falle. Im Jahr 2014 waren es nur noch 300 Gramm pro Falle. Um bis zu 80 Prozent hätte sich die Biomasse pro Falle reduziert, so die Forscher um Martin Sorg von der Krefelder Entomologischen Gesellschaft.
Was im Krefelder Umland beobachtet wird, ist ein globaler Trend: Die Weltnaturschutzunion IUCN schätzt, dass weltweit ein Drittel aller Insektenpopulationen stark abnehmen. Fatal sei das für die Vögel, so Peter Berthold. "Sie finden einfach nicht mehr genug zu fressen, nicht für sich selbst und nicht für ihre Brut."
Quelle: Die Welt, 17.07.16
http://www.welt.de/print/wams/wissen/article157100630/Friss-und-stirb.h…
- Login om te reageren