Sie kommen mit körperlichen Defekten zur Welt oder erkranken überdurchschnittlich oft an Krebs: In Argentinien leiden Menschen unter dem massiven und illegalen Einsatz von Pestiziden. Das Gift trägt wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes durch Soja-Produktion bei. Mithilfe moderner Biotechnologie ist Argentinien zum weltweit drittgrößten Soja-Hersteller aufgestiegen. Der massive Einsatz chemischer Mittel hat an diesem Erfolg großen Anteil. Doch die giftigen Stoffe werden teilweise direkt neben Wohnhäusern und Schulen ausgebracht und kontaminieren das Trinkwasser. Wissenschaftler und Ärzte warnen vor der unkontrollierten Nutzung der Chemikalien: Sie glauben, dass aus diesem Grund immer mehr Menschen in Argentinien erkranken.
Direkt neben einer Schule in der Provinz Entre Ríos würden sogar während des Unterrichts illegal Pestizide gesprüht, beklagen Lehrer. Sie berichten, dass die Farmarbeiter die gesetzlich festgelegte Grenze von 50 Meter Abstand zu mehreren Schulen nicht einhielten. Fünf Lehrer haben deswegen Klage eingereicht. Die Provinz Santa Fe ist eines der größten Sojaanbaugebiete in Argentinien. Umfragen unter 65.000 Bewohnern haben gezeigt, dass die Krebsraten dort zwei- bis viermal höher ausfallen als im nationalen Durchschnitt. Auch Schilddrüsenunterfunktion und chronische Atembeschwerden kommen überdurchschnittlich häufig vor.
Fabian Tomasi, 47, ist ein ehemaliger Farmarbeiter. Er befüllte die Tanks von Sprühflugzeugen, die Chemikalien über die Felder verteilen. Man habe ihm nie fachgerecht gezeigt, wie er mit Pestiziden umgehen muss: "Ich habe mit Millionen Litern Gift gearbeitet - ohne Handschuhe, Schutzmaske oder irgendeine andere Spezialkleidung. Ich wusste nicht, welche Konsequenzen das hat, bis ich später mit Wissenschaftlern geredet habe", sagt Tomasi. Heute leidet er an einer Nervenkrankheit.
Camila Veron ist zwei Jahre alt. Das Mädchen wurde mit fehlerhaften Organen geboren und ist schwer behindert. Ärzte vermuten, dass Agrochemikalien dafür verantwortlich sein könnten. "Sie sagten mir, es sei möglicherweise das Trinkwasser gewesen, denn sie sprühen in der Region viele Pestizide", sagt die Mutter, Silvia Achaval. Für die Ärzte ist es schwer, Erkrankungen wie Krebs oder Behinderungen auf spezifische Chemikalien zurückzuführen. Sie fordern, dass die Regierung Ermittlungen einleitet.
Der Körper von Aixa Cano, 5, ist von behaarten Muttermalen bedeckt. Ihre Ärzte können sich den Defekt nicht erklären, gehen aber davon aus, dass auch Aixa in Kontakt mit Pestiziden gekommen ist. Sie stammt, wie Camila, aus der Provinz Chaco. Seit dort Chemikalien eingesetzt werden, kommen in Chaco viermal mehr Kinder mit Geburtsfehlern zur Welt.
Gegen die Macht der Landwirtschaft wehren sich Menschen wie Oscar Alfredo Di Vincensi. Er ist aus Protest gegen den massiven Einsatz von Chemikalien in Hungerstreik getreten und fordert, dass die Pestizide nur in einer Entfernung von einem Kilometer zu Wohnhäusern gesprüht werden dürfen. Um auf diese Distanz aufmerksam zu machen, stellte er sich mit einem Absperrbanner in ein Feld - und wurde von einem Traktor mit Pestiziden besprüht.
Auch Sofia Gatica protestiert. Sie blockierte im September gemeinsam mit anderen Demonstranten Lastwagen des amerikanischen Saatgutherstellers Monsanto in Malvinas Argeninas in der Provinz Córdoba. Dort plant der US-Konzern seine größte Fabrik in Lateinamerika. Vor 17 Jahren versprach das Unternehmen steigende Gewinne. Seitdem hat sich genmanipuliertes Soja, Getreide und Baumwolle in Argentinien stark ausgebreitet, der Einsatz von Pestiziden hat sich verachtfacht.
Sofia Gatica ist auch persönlich betroffen. Nachdem ihr Neugeborenes an Nierenversagen starb, wehrte sie sich mit rechtlichen Mitteln. Ihr Klage führte zur ersten Verurteilung wegen illegalem Einsatzes von Pestiziden in Argentinien.
Ein Schild in Malvinas Argentinas wendet sich an Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und Provinz-Gouverneur José Manuel de la Sota: "Stoppt die Ausbeutung und die Kontamination! Monsanto raus aus Córdoba und Argentinien!"
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 24.10.2013
http://www.sueddeutsche.de/
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