GLOBAL 2000 übt scharfe Kritik - Einfluss der Chemischen Industrie muss begrenzt werden

Am Montag (25.02.2013) wollte die EU-Kommission eigentlich abstimmen: Sollen Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide verboten werden? Das sind Gifte, mit denen das Saatgut von Mais, Raps und Sonnenblumen gebeizt wird - und die direkt auf das Nervensystem von Insekten wirken. Diese Beize wird für das massive Bienensterben der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht. Diese Neonicotinoide sollten für alle Pflanzen verboten werden, die für Bienen attraktiv sind. Doch im letzten Moment war der Entwurf wieder zurückgezogen worden. Die überraschende Vertagung des angekündigten Votums ist angesichts des fortschreitenden Bienensterbens in Europa ein ökologisches Drama. Zudem drängt sich die Frage nach den Hintergründen der Verschiebung auf. Die Chemieindustrie habe mit Klagen gedroht, berichtete Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei Global 2000.

Burtscher stellt fest: "Pestizidwirkstoffe dürfen laut EU-Verordnung keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Nutztieren haben. Deshalb war die Forderung nach einem Verbot die einzig mögliche Reaktion der Kommission auf die zuvor von der Zulassungsbehörde EFSA veröffentlichte Stellungnahme, wonach zahlreiche Anwendungen von Neonicotinoiden ein für Bienen nicht akzeptables Risiko darstellen.“
Neonicotinoide sind die weltweit am häufigsten angewendeten Insektizide, mit einem Jahresumsatz von insgesamt über 1,5 Milliarden Euro. Konzerne wie Bayer und Syngenta kündigten im Falle eines Verbots umgehend Klagen an und präsentierten eine Studie, wonach eine solche Entscheidung 50.000 Arbeitsplätze und 17 Milliarden Euro kosten würde. "Es scheint weit verbreitete Praxis zu sein, dass Chemiekonzerne versuchen, mithilfe von gerichtlichen Klagen wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zum Schutz von Mensch und Umwelt auszuhebeln. Ein im Vorjahr publizierter Report des Pesticide Action Networks Europe hat gezeigt, dass Pestizidhersteller in den vergangenen Jahren mehr als sechzig Mal gerichtlich gegen negative Zulassungsbescheide der EU vorgegangen sind. Dass eine Vielzahl von Pestiziden, die wegen mangelnder Daten über deren gesundheitliche und ökologische Unbedenklichkeit eigentlich keine Zulassung mehr haben dürften, immer noch am europäischen Markt verfügbar sind, kann als Erfolg dieser Klagspraxis interpretiert werden“, erklärt Burtscher.

Die ersten Berichte von Imkern über großflächige Bienenschäden durch Neonicotinoide gab es bereits 1994 in Frankreich. Chemische Industrie und Landwirtschaft stritten von Beginn an einen möglichen Zusammenhang ihrer Pestizide mit dem Bienensterben mit der Begründung ab, dass diese Mittel von der EFSA als “unbedenklich für Bienen” eingestuft seien, und machten stattdessen Bienenkrankheiten wie die Varoa-Milbe für das zunehmende Bienensterben verantwortlich. Roland Netter, Imker aus Strengberg in Niederösterreich, führt aus: “Mit dem insektizidgebeizten Maissaatgut ging es bei uns im Jahr 2009 so richtig los. Seither sterben mir Jahr für Jahr ganze Bienenvölker weg. In den Jahren davor hatte ich diese Probleme nicht – und eine derartig drastische Auswirkung der Varoa-Milbe halte ich für ausgeschlossen.” Anton Reitinger, Imkermeister aus Oberösterreich, ergänzt: “Diese Neonicotinoide werden von den Pflanzen systemisch aufgenommen, durchdringen sie komplett und gelangen so auch in Pollen und Nektar. Das macht diese Wirkstoffe so gefährlich. Indem die Bienen den Pollen einsammeln, tragen sie auch kleinste Mengen dieser Nervengifte in den Bienenstock, wo sie dann das Bienenvolk in seiner Gesamtheit schädigen und anfällig für Krankheiten aller Art machen.” DI Dr. Stefan Mandl, Bio-Imker und Bienenforscher, der rund 6.000 Bienenvölker betreut, kann das nur bestätigen: “Fatal ist, dass diese Nervengifte, wie neue Forschungsergebnisse gezeigt haben, einerseits irreversibel wirken und andererseits sich nur äußerst langsam abbauen. Jahr für Jahr gelangen diese Gifte tonnenweise in die Natur und reichern sich im Boden und im Wasser an. Deshalb ist es so wichtig, dass Europa ein sofortiges Aus für die Neonicotinoide beschließt und Österreich hier mit gutem Beispiel voran geht.”

Schwere Kritik übt Burtscher an Umweltminister Nikolaus Berlakovich (VP): Auf eine Anfrage über die österreichische Position zum Kommissionsvorschlag sei von dessen Büro ausgerichtet worden, es gebe noch nicht genug Daten zu den Risiken. Und in Österreich sei nur in 0,38 Prozent der Bienenvölker Schäden durch insektizidgebeiztes Saatgut nachgewiesen worden. Burtscher: "Diese Rechnung ist ein billiger Taschenspielertrick." Denn es sei auch nur ein Bruchteil der Völker untersucht worden - und von denen war mehr als die Hälfte mit Neonicotinoiden verseucht. Tatsächlich habe es im vergangenen Jahr Ausfälle von rund 25 Prozent bei den Wintervölkern gegeben, betont Burtscher. GLOBAL 2000 fordert Minister Berlakovich dringend auf, Klarheit bezüglich obiger Aussagen zu schaffen und sich voll und ganz hinter die von der EU-Kommission geforderten Verbote der bienengiftigen Neonicotinoide zu stellen.

Quellen:
Oekonews (Austria), 26.02.2013
http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1077903
Der Standard, 27.02.2013
http://derstandard.at/1361241237218/EU-Rueckzieher-kurz-vor-Pestizid-Ab…