Eigentlich ist der Keilstein bei Regensburg ein Hang ganz nach dem Geschmack eines Schmetterlings: nach Süden zur Donau hin abfallend, sonnig, ein nährstoffarmer Trockenrasen mit vielen Pflanzenarten - und zudem seit fast 25 Jahren Naturschutzgebiet. Doch als Jan Christian Habel den Hang mit Studenten jüngst besuchte, war er enttäuscht. »Seltene Falterarten waren nicht mehr vorhanden«, sagt der Schmetterlingsexperte vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der Technischen Universität München. »Wir haben nur Trivialarten gefunden. Und selbst bei denen sind die Bestände stark gesunken.«
Rund 3700 Arten von Faltern oder Schmetterlingen (Lepidoptera) gibt es in Deutschland, darunter etwa 180 oft farbenprächtige Tagfalter. Doch die Vielfalt schwindet: Dass Habels Eindruck am Keilstein nicht von einer zufälligen Schwankung herrührt, sondern von einem längeren Trend zeugt, zeigt eine Studie, die die Entwicklung über fast 200 Jahre verfolgt. Die Forscher um Habel werteten in dem Areal um den Keilstein die Entwicklung der Bestände seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus. Flatterten in den 1840er-Jahren noch 117 Arten von Tagfaltern und Widderchen am Keilberg, so waren es um 2010 nur noch 71, wie das Team im Fachblatt »Conservation Biology« berichtet. Das entspricht einem Rückgang der Artenvielfalt um 40 Prozent.
Gerade die spezialisierten Arten seien stark rückläufig. Solche Spezialisten wie etwa Vertreter der Perlmutterfalter, diverse Scheckenfalter und Bläulinge sind von ganz bestimmten Futterpflanzen und Lebensräumen abhängig. Im Gegensatz dazu können Generalisten wie das Große Ochsenauge (Maniola jurtina), der Schachbrettfalter (Melanargia galathea) oder der Kleine Heufalter (Coenonympha pamphilus) Veränderungen besser verkraften.
Die rückläufigen Zahlen zeigen nicht nur den Trend für Regensburg, sondern für das ganze Bundesland, wie Co-Autor Andreas Segerer betont. »In ganz Bayern sinken die Artenzahlen, und auch bei den vorhandenen Arten schrumpfen die Bestände«, sagt der Experte der Zoologischen Staatssammlung München, der im März einen Schmetterlingskatalog für Bayern veröffentlicht hatte.
In Bayern wurden demnach seit 1766 etwa 3250 Arten nachgewiesen. »Ab 2001 fanden wir nur noch 2819 Arten. Weit über 400 Spezies sind nicht mehr nachweisbar, was einem Rückgang von 13 Prozent entspricht.« Dazu zählt etwa der nach der Region benannte Regensburger Gelbling (Colias myrmidone), auch Orangeroter Heufalter genannt.
Thomas Schmitt vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut (SDEI) in Müncheberg bei Berlin beobachtet diese Entwicklung auch im Rest von Deutschland seit längerem, etwa im Moseltal, bei Düsseldorf oder in der Lüneburger Heide: »Wir gehen davon aus, dass bundesweit überall tendenziell dasselbe passiert, allerdings mit regionalen Unterschieden.«
Quelle:Main Echo, 21.09.16
http://www.main-echo.de/ueberregional/kultur/art4214,4246400
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